Das Bauchbgräbnis

Das Bauchbegräbnis - oder Pedro der Truthahn Teil 3

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Teil 3


Der Geist des Pedro


Als Professor Wassili seine, doch sehr jungendliche Freundin beim Herumtollen mit einem Kalb sah, fiel von ihm der bedeutungsschwere Satz: Heute kisst du und morgen frisst du.
Generationen von Nichtvegetariern müssen sich nun mit dieser erdrückenden und die volle Schizophrenie der Situation kennzeichnenden Erkenntnis herumschlagen. Wirft man Vegetariern vor, sie wären nur zu feige ein Tier zu töten, so muss den meisten Nichtvegetariern vorgeworfen werden, dass sie ebenfalls zu feige sind zum Töten und dies dann nicht einmal zugeben. Epikuristische Pharisäer eben.
Wir sehen, wie der Protagonist unserer Geschichte mit sich ringt, um dem geliebten Tier einen würdevollen und angenehmen Tod zu bringen; mit dem Ziel es dann genussvoll und mit gutem Gewissen zu verzehren: ein Bauchbegräbnis erster Klasse.
Der Truthahn erwies sich als überraschend groß. Vielleicht doch volle 14 kg Protein. Und, er ging nicht in die Röhre. Jedenfalls nicht am Stück. Während Mutter Hegebrecht noch am überlegen war, hatte Melissa schon mit dem Zerteilen begonnen. Truthahn, kross gebraten, glasierte Kartoffeln, diverse Salate, Karamelpudding mit Sahne. Was fehlt da noch? Der passende Wein!
Diese nicht unwichtige Aufgabe hatte Sommelier Pädagogik übernommen. Sein geübter Blick fiel auf einen Trollinger. Später sollte er sagen, dieser Troll hatte etwas warnendes. Aber später findet man für alles eine Erklärung.
Ein Burgunder wäre keine schlechte Wahl gewesen, aber schließlich landete er, wie so oft, bei einem kräftigen roten Bordeaux.
3 Flaschen, schließlich sind Truthähne entgegen landläufiger Meinung nicht wasserscheu, balancierte er schließlich die Kellertreppe herauf. Er öffnete zwei Flaschen und lies den Wein atmen.

Thanksgiving, wird danken Gott für alles was auf dem Tisch steht, was er auf unseren Feldern wachsen lies und was wir mühevoll in unserem Hinterhof herangezogen haben.
Tischgebet und Grabrede zugleich. Hegebrecht war nicht so bewandert in den amerikanischen Gebräuchen und wiederholte einfach, was er in verschiedenen Filmen gesehen hatte.
Der opulent gedeckte Tisch, phantasievoll arrangierte kleine Blumenvasen, die Rede, der rot funkelnde Wein in den großen, nur für bestimmte Anlässe reservierten Gläsern; es war ein Hauch Grossbürgertum zu spüren, oder was man gemeinhin dafür hält.
Irgendwie wartet jeder auf das Wort Pedro. Aber die Magie des Augenblicks verhinderte diesen Frevel. Stillvergnügt begann die Familie vor sich hin zu mampfen.
Gar nicht mal so gut, wagte Arno zu bemerken, wurde aber mit scharfen Blicken zum Schweigen gezwungen. Dabei hatte er in gewisser Weise recht. Ein freilaufender Truthahn bildet nun mal ein kräftigeres Muskelfleisch aus, als diese Synthesevögel aus dem Geflügelzuchtknast.
Sich ein Glas Rotwein unter die Nase zu halten macht noch keinen Weinkenner. Es will gelernt sein, die Aromen zu klassifizieren und mehr zu riechen als nur "fruchtig". Hegebrecht beherrschte das Ritual und Frau Hegebrecht musste sich beherrschen, dabei zuzusehen. Sie verstand einfach nicht wozu es notwendig war, den Wein einzuspeicheln, oder war es ein Gurgeln?
Schließlich hatte er doch einen guten Schluck getrunken und begann die Qualitäten des Weins zu loben. Schließlich verkürzte sich die Degustation, dafür wurde das reine Trinken immer länger und das Glas leerer.
Die anderen Familienmitglieder hatten ebenfalls Rotwein vor sich stehen. Allerdings in einer dem jeweiligen Alter entsprechenden Verdünnung. Diana hatte sowieso Himbeersaft vorgezogen. Ein intelligentes Kind, das frühzeitig erkannte, dass es Vorteile hat, möglichst lange Kind zu bleiben.
Die dritte Flasche wurde geöffnet, Pedros Knochen sammelten sich in einer Silberschale. Erhebend, eine würdige Feier, Familie pur und von der schönsten Seite.
Schließlich sagte Diana:" Der Pudding sieht aus wie Erbsensuppe". Oh la la, da bahnt sich ja was Feines an! (Die Jury wird gebeten den letzten Satz der Zeugin Diana aus dem Gedächtnis zu streichen. Der totale Blödsinn, so eine amerikanische Gerichtsverhandlung, als ob man so einen Satz einfach vergessen könnte. Genau das Gegenteil ist doch der Fall. Wenn man dem Gehirn etwas verbietet, dann reitet es doch erst recht darauf herum. Aber das hat jetzt nichts mit dem Thema zu tun)
"Ja, find ich auch. Genauso wie die Erbsensuppe die Linda Blair im Exorzisten auskotzt! "Das war, Sie werden es nicht erraten, Originaltext Sophia-Lucia, die Brechtliebhaberin. Wussten wir immer schon, dass Brecht die Jungend verdirbt.
Hegebrecht machte einen Gesichtsausdruck, der später auch bei einem Kindergartenbesuch eines berühmten Mannes bewundert werden konnte, just in dem Moment als man zu ihm sagte, we are under attack Mr. President.
Wie können Kinder nur so unsensibel sein. Aber er lag völlig falsch, als er dachte die Magie der Situation wäre verflogen. Sie war immer noch da, ja sogar stärker als zuvor, aber sie hatte die Seiten gewechselt.
Er blinzelte durch das Weinglas, um festzustellen, dass die Welt doch merkwürdig flach ist. Kaum vorstellbar, dass das wirklich eine Kugel ist, oder eine Birne, wie neueste Messungen ergeben haben.
Warum konnte er plötzlich aus der Anordnung der Knochen auf dem Teller das Wort Xenon herauslesen? Der Truthahn hatte doch Pedro geheißen. Ja, und überhaupt, seine Frau. Sie saß da, nestelte an ihrem Dekollete herum und füllte da anscheinend Kartoffeln hinein. Wollte sie unter Umgehung des Kauapparates die Nahrung direkt in den Magen schaufeln?
"Irgend etwas stimmt hier nicht", sagte sein Logiksektor und der Rest des Gehirns antwortete: "ja, du!" Hatte er nicht gelesen, dass Rotwein bei Geisteskrankheiten hilft oder sie auslöst. Ich saufe jetzt die Flasche aus, und wenn es das letzte ist, was ich tue. Bodenständiges Gedankengut, nicht schlecht für einen Lehrer.
Die Kleine hatte zwischenzeitlich damit begonnen, im Pudding herumzupatschen, und ihre größere Schwester half ihr dabei. Arno hielt sich ganz gut. Er fand den Zustand agreable und beobachtete das Treiben mit gelassener Distanziertheit. Später gestand er einem Psychologen, dass er vermutlich deshalb ganz gut zurecht kam, weil er schon ein paar "Tüten" geraucht hatte. Immunisierung durch Räucherung.
Maria, Mutter Hegebrecht, was läuft da ab? Auch sie zeigte sich anfangs resistent und begann mit größter Verwunderung festzustellen, dass Dr. Jerkill und Mister Hyde in einer Person am Tisch saßen. Gerade noch ein kultivierter Lehrer, jetzt plötzlich ein schmatzender Gnom, der sich zunehmend mit Wein füllte und ihr fortwährend aufs Dekollete ****rte.
"Pedro, Pedro aus Caracas frisst Ananas! " Dieses heitere Liedchen stimmte nun Vater Hegebrecht an und seine Töchter patschten im Takt dazu im Karamelpudding.
"Und des Teuren Name, füllt jede Brust mit neuem Grame" zitierte Arno aus der Bürgschaft, der das fehlende Veto seines Vaters beim Nachschenken des Weines sehr wohl registriert hatte. "Zwei Gläser Rotwein hauen eine jungen Mann doch nicht vom Sockel, aber jeden blöden Gockel," setzte er dann noch drauf, als er sah, dass der Alte out of order war. Das Niveau sank wie eine Quecksilbersäule am Nordpol.
"Die Pilze! Es sind die Pilze!" sagte Maria Hegebrecht. Aber die vermeintlichen Pilze waren die Ohrringe ihrer Tochter. Das beruhigte sie. Nein, es befriedigte sie. Ja, sie war vollkommen zufrieden mit dieser Erkenntnis.
Der Logiksektor Herbert 1 hatte endgültig den Geist aufgegeben. Andere Gehirnteile begannen sich aus Sicherheitsgründen abzuschalten, während andere die freiwerdende Energie akustisch umsetzten. Bei einem Verhör unter Natriumphentotal, einer Verwandten des bereits erwähnten chemischen Äquivalents der Kanonenheiligen, hätte man mit Hegebrecht keine große Freude gehabt: Er sang wieder. Lieder aus der Studentenzeit und davor. Lange davor. Hänschen klein, um eines seiner sängerischen Highlights zu nennen.
Die Familie sang mit. Man hatte sich auf einer anderen Ebene wieder gefunden. Sie hätten auf einer Müllkippe sitzen können, für sie war das Leben großartig. Vollkommen unsinnig, niveaulos, aber großartig!
Die heimische Idylle wurde jäh gestört durch Melissa. Der ansonsten gute Geist des Hauses wurde zum echten Störenfried. "Was ist den hier los?" Dumme Frage, wir sind vergiftet, aber wir fühlen uns wohl dabei. Das konnte natürlich niemand mehr zu ihr sagen, stattdessen grapschte Pädagogik nach ihr und seine Frau fand toll, was er alles mit seinem Arm machen konnte.
"Das Kind rollte mit den Augen," sagte Melissa später zur Polizei, "da wusste ich, dass etwas nicht stimmte." Welches Kind sie meinte, vermerkte der Polizeibericht nicht.
Als der Notarzt eintraf, fand er eine sich den Farben des Regenbogens anpassende Familie vor, wobei das Farbspiel zeitlich verschoben auftrat, so dass mindestens eine Person gelb war, eine andere grün und so weiter.
Magenauspumpen, Aktivkohle geben, Kreislauf stabilisieren, Beruhigungsmittel geben. Letzteres war ein Fehler, aber auch Ärzte machen Fehler. Vater Hegebrecht kippte als erster weg. Ohne Seufzer oder sonst einen Laut. Er wurde einfach bewusstlos. Der Rest der Familie folgte, wobei Mutter Hegebrecht die letzte war und dem Arzt noch zuhauchen konnte: "Die Pilze!"
Diese Bemerkung kostete den Assistenzarzt 4 Stunden seiner ohnehin nicht bezahlten Arbeitszeit. Nachdem er den gesammelten Mageninhalt der gesamten Familie gründlichst untersucht hatte, er stocherte mit dem Finger darin herum, trug aber immerhin Gummihandschuhe, kam er zu dem Ergebnis, dass keinesfalls Pilze schuld sein konnten. Anschließend wurde alles fein säuberlich verpackt. Ein paar Päckchen gingen ins Labor des Krankenhauses, andere in ein Labor der Gerichtsmedizin und ein paar wurde versehentlich als Gratiskostprobe an eine Gourmetvereinigung geschickt. Laboranten haben einen eigenartigen Humor.
Die Rache von Pedro war hinterhältig, nachhaltig und gemein. 5 Komapatienten auf Intensiv mit Verdacht auf Vergiftung! Hier sollte eigentlich die Totenkopftaste gedrückt werden, aber die hat mein Computer noch nicht.
Große Zeitungen haben sie und machen ausgie*** Gebrauch davon. Lehrerfamilie vergiftet! Schüler unter Verdacht! Ja, Schüler tun nichts anderes als ihre Lehrer vergiften.
Aber dann kam der Nachbar ins Visier: Nachbar versucht fünfköpfige Familie auszulöschen!
Und der beste Freund des Nachbarn gesteht: er war immer schon ein so merkwürdiger Mensch.
Für 3 000 DM verkauft dieser Quisling dann einem Journalisten ein altes Klassenfoto. In der Vergrößerung sind nur Mädchen und eine Klassenlehrerin zu erkennen. Macht nichts, dann war es eben die Nachbarin. Auf alten Fotos sehen eh alle gleich aus. Falsch geraten, lieber Lohnschreiber. Das veröffentlichte Foto ist heute Anwältin. 12 000 DM wechseln diskret den Besitzer und die Sache ist vom Tisch.
Der Nachbar wurde verhaftet, eine ganz tolle Videoanlage beschlagnahmt, denn auch Polizisten haben einen Pausenraum, und wieder freigelassen, nachdem er die Funktionsweise des Apparates erklärt hatte.
Diana erholte sich schnell, wie das bei Kindern häufig der Fall ist. Sie wirbelte in der Kinderstation umher und freute sich über das bunte Plastikzeugs an den Fenstern. Lernte dann die Funktion eines kleine Strickchens kennen, an dem die Pfleger immer zogen, wenn sie ein Bett aus der Station schoben und erweiterte so ihr medizinisches Wissen auf anderen Stationen. Als sie begann, den "armen Leuten die Schläuche aus der Nase" zu ziehen, damit sie nicht ersticken, wurde sie in die Obhut einer Tante entlassen.
Die freundlichen Herrn von der Polizei stellten im Hause Hegebrecht die Überreste von Thanksgiving sicher, und während auch der Rest der Familie so langsam wieder in die Welt der Wachen überwechselte, hatte ein einfallsloser Chemiker seine Sternstunde, die er Trutotox nannte.
Im Truthahn hatte sich aus verschiedenen Chemikalien, wir wissen welche gemeint sind, unter Einfluss von Alkohol, Fett und Hitze ein neuer Stoff synthetisiert. Zuerst dachte man, es wäre ein neuer Sprengstoff und/oder Dünger. Schließlich war er dafür aber zu giftig und es sollte ein neues Insektizid werden. Trutotox war bienengefährlich und auch von Fischen wurde es nicht gut vertragen. So kam man überein, wie sooft, wenn man nicht weiß wofür etwas gut, ist ein neues Medikament daraus zu machen.
Moderne Geschichten zeichnen sich durch zwei Dinge aus:
1. der Autor schreibt hauptsächlich für sich und über sich
2. es gibt kein happy end
Zu eins: ich habe keine Lust mehr weiter zu schreiben, deshalb endet die Geschichte nun.
Zu zwei: Für Familie Hegebrecht und deren Zukunft gibt es zwei Variationen. Sie können sich eine aussuchen.
Vater Hegebrecht trifft im Krankenhaus seine Jugendliebe wieder. Fängt ein Techtelmechtel an und lässt sich nach 3 Jahren scheiden.
Oder - Mutter Hegebrecht trifft im Krankenhaus ihre Jungendliebe wieder. Fängt ein Techtelmechtel an und lässt sich nach 4 Jahren scheiden.
Sie sehen, das Beste an der Geschichte habe ich bereits erzählt. Und wann kaufen Sie einen Truthahn?


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Vielen Dank fürs Lesen - ich hoffe es hat Euch gefallen.

Meinen Dank auch an das Forum, dass ich meine "schriftstellerischen Ambitionen" hier verwirklichen konnte.

Susanne

(Nick "Schriftstellerin" weil ich ausnahmsweise heute mal phantasielos bin.)

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Aktualisiert: 07.04.2009 um 17:16 von "Schriftstellerin"

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Kommentare

  1. Avatar von Admin
    Gefällt mir gut, Deine Geschichte! Habe mehrmals geschmunzelt über die "hinterlistigen Witze" die Du mit rein gepackt hast. Deinen Nick hast Du jedenfalls zurecht.
  2. Avatar von iceberg
    Ein wirklich lustige Geschichte, die aber auch nachdenklich stimmt. "Wenn es kein Dünger wird, dann eben ein Medikament" - da ist was Wahres dran ! iceberg